Blühende Schachtelhalme

03.07.2020, Reinhard Berndt
Tauchen Sie ein in die Welt der Schachtelhalme und stossen Sie auf winzig kleine Naturwunder, die im Alltag sehr leicht übersehen werden. Schachtelhalme (Equisetum-Arten) gehören zu den Farnpflanzen, die es bereits seit mehr als 400 Millionen Jahre auf der Erde gibt. Farnpflanzen vermehren sich mit Sporen, nicht mit Samen wie die „moderneren" Samenpflanzen. Mit Handlupe und Makroobjektiv lässt sich erkunden, wie interessant solch alltägliche Pflanzen sind.
Die zwei Gesichter der Schachtelhalme

Vor einiger Zeit fand ich zwei Schachtelhalmarten in voller Blüte. Zum einen die grösste einheimische Art namens Riesen-Schachtelhalm (Equisetum telmateia) und zum anderen den Acker-Schachtelhalm (E. arvense), eine vergleichsweise schmalwüchsige Pflanze. Beide Arten produzieren verschiedene Typen von Pflanzensprossen: Im Frühling braune, fruchtbare Triebe, denen Chlorophyll fehlt, und etwas später im Jahr grüne, verzweigte und unfruchtbare Triebe, die Photosynthese betreiben können. 

Zinnkraut als Topfreiniger

Alle Schachtelhalme haben auffallend gegliederte Stängel, die durch Knoten mit winzigen lanzettförmigen und wirtelig angeordneten Blättern – den Mikrophyllen – unterteilt sind. Die Photosynthese erfolgt jedoch durch die grünen Stängel und nur vernachlässigbar durch die Mikrophylle. Ein weiteres Merkmal der Schachtelhalme ist der hohe Gehalt an Kieselsäure, der den Pflanzen Stabilität zu verleihen scheint. Früher pflegte man metallische Küchengeräte mit Schachtelhalmen zu reinigen. Diese Praxis führte zum deutschen Volksnamen "Zinnkraut".

Die fruchtbaren Pflanzensprossen des Riesen-Schachtelhalms.

Das obige Bild zeigt eine dichte Population des Riesen-Schachtelhalms in einer sumpfigen Wiese auf dem Pfannenstiel. Ein weiterer typischer Lebensraum sind feuchte Wälder, wo man die Schachtelhalme meist an grundwasserreichen Hängen findet. Die unfruchtbaren Pflanzensprossen des Riesen-Schachtelhalms sind recht beeindruckend und erreichen eine Höhe von bis zu zwei Metern.

Acker-Schachtelhalm.

Der Lebensraum des Acker-Schachtelhalms ist sehr unterschiedlich. Die Pflanze ist auf Brachland, Wiesen und auf Ackerland zu finden. Sie hat sehr lange Rhizome, die tief in den Boden reichen. Ein Entfernen der Pflanze ist somit ziemlich schwierig.

Sporophylle wie Bistrotische

Einige von Ihnen haben vielleicht kurz gezögert, als Sie lasen, dass Schachtelhalme blühen. Doch tatsächlich kann man die zapfenförmigen Sporophyllstände ("Sporenträger") auf den fruchtbaren Sprossen als Blüten interpretieren. Blüten sind definiert als kurze Sprosse oder Sprossabschnitte mit einem begrenztem Wachstum, die abgewandelte Blätter tragen, die als Sporophylle bezeichnet werden. Jedes Sporophyll bildet eine Anzahl von Sporangien (Sporenbehälter). In der Blüte der Bedecktsamer entsprechen die Sporophylle den Staub- und den Fruchtblättern. Bei den Schachtelhalmen ähneln die Sporophylle einem einbeinigen Bistrotisch, an dem mehrere sackartige Sporangien hängen. Die Blüten des Schachtelhalms besitzen jedoch keine Blütenhülle.

Die Blüten der Schachtelhalme.
Handlupe für die Nahsicht

Falls Sie noch nicht überzeugt sind, werfen Sie einen Blick auf die männlichen Blüten der Eibe (Taxus baccata), einem Nadelbaum und somit einer Samenpflanze. Die männlichen Blüten der Eibe haben eine Blütenhülle mit schuppenartigen Blättchen und tischchenförmigen Mikrosporophyllen (Staubblättern), die denen des Schachtelhalms verblüffend ähnlich sind.  
Vergessen Sie bei Ihrem nächsten Streifzug Ihre Handlupe nicht, mit deren Hilfe Sie solche Details erkennen können, und schauen Sie genau hin, dann können Sie die winzigen Blüten entdecken.

Die männlichen Blüten der Eibe (Taxus baccata).

Dr. Reinhard Berndt ist Kurator der Pilzsammlung am Departement Umweltsystemwissenschaften an der ETH Zürich. Der Originaltext ist in Englisch geschrieben.

Übersetzung: Katja Rauchenstein